50 Jahre „Grenzen des Wachstums“

von Klaus Norgall                                                                                                                                                                                                       2. März 2022

Am 2. März 1972 wurde die Studie „The Limits to Growth“ während einer internationalen Konferenz der Forschungs- und Bildungseinrichtung „Smithsonian Institution“ in Washington vorgestellt und diskutiert. Sie erregte daraufhin international Aufsehen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem auch ins Deutsche unter dem Titel „Grenzen des Wachstums“.

Worauf die Studie abzielt, findet sich bereits auf den ersten Seiten. Es wird auf ein Zitat des vormaligen Generalsekretärs der Vereinten Nationen U Thant eingegangen:

„Ich will die Zustände nicht dramatisieren.
Aber nach den Informationen, die mir als
Generalsekretär der Vereinten Nationen zugehen,
haben nach meiner Einschätzung die Mitglieder dieses Gremiums noch etwa
ein Jahrzehnt zur Verfügung, ihre alten Streitigkeiten
zu vergessen und eine weltweite Zusammenarbeit
zu beginnen, um das Wettrüsten zu stoppen,
den menschlichen Lebensraum zu verbessern,
die Bevölkerungsexplosion niedrig zu halten
und den notwendigen Impuls zur Entwicklung zu geben.
Wenn eine solch weltweite Partnerschaft
innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht zustande kommt,
so werden, fürchte ich, die erwähnten Probleme
derartige Ausmaße erreicht haben,
dass ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt. (U Thant 1969).

Die von U Thant genannten Probleme – Wettrüsten, Umweltverschmutzung, Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Stagnation – gelten vielfach als die wichtigsten und langfristigsten, die die Menschheit heute zu lösen hat. Viele sind der Ansicht, dass das Schicksal der Menschheit, vielleicht sogar das Überleben der Menschheit selbst, davon abhängt, wie rasch und wie wirksam weltweit diese Probleme gelöst werden. Dennoch ist nur ein winziger Teil der Menschheit aktiv darum bemüht, diese Probleme überhaupt erst zu verstehen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.“

Der eindringliche Appell U Thants kam nicht von ungefähr. Im vergangenen Jahrhundert wurde, selbst nach den gravierenden desaströsen Ereignissen in zwei Weltkriegen, die Ausfahrt in eine friedliche Zukunft mehrfach verpasst. Der Friede nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs währte nicht lange. Schon wenige Jahre später entfachte sich zwischen Ost und West ein absurdes Wettrüsten.

Zu Beginn der 60er Jahre befand sich die Rivalität auf ihrem Höhepunkt und mit der Kuba-Krise stand man kurz vor einem Dritten Weltkrieg. Es bestand die Gefahr eines atomaren Schlagabtausches. Mit dem Rückzug der Sowjets hatte sich die Lage entschärft, die Parteien konnten sich aber nicht darauf verständigen, den kalten Krieg zu beenden und die Instrumente zur Gewaltausübung von Menschen an Menschen sukzessive abzulegen. Die Konkurrenz der Mächte wurde in Stellvertreter-Kriegen in die Peripherie ihrer Sphären verlegt. Der lautstarke Protest der westlichen Jugend zum Ende des Jahrzehnts gegen den grausamen und menschenverachtenden Krieg in Vietnam hatte nicht zu seinem Ende geführt, sondern erst die Erfahrung der Militärstrategen, dass er nicht mehr zu gewinnen ist. Schon viel früher hätte man sich überlegen können, wie es denn in konstruktiver Weise weiter gehen soll mit der Spezies Mensch. Die Überhöhung nationaler Interessen scheint nicht der ideale Leitgedanke zu sein. Nicht nur durch Wettrüsten der Armeen auch mit der Ausdehnung des Phänomens menschlicher Zivilisation erhob sich die Frage, was am Ende stehen bleiben sollte. Die vage Vermutung, dass es dabei auf Dauer zu Friktionen zwischen dem Wunsch leben zu wollen und den Tatsachen leben zu können geben wird, wurde nun politisch thematisiert. Das steigende Volumen an empirischen Daten über unsere Welt und die darin verzeichneten Wachstumsraten machten vieles deutlicher. Nicht nur die nackte Zahl der Menschen, sondern auch der Umfang der vom Menschen gemachten künstlichen Welten mahnten dazu, sich Sorgen zu machen, was daraus entsteht: Welten, die in unsere angestammte, natürliche Welt gar nicht recht passen wollen, haben begonnen, sich zu verselbstständigen und ihr Eigenleben zu entwickeln.

Die veröffentlichte Studie „Grenzen des Wachstums“ sollte einerseits darstellen, was denn tatsächlich passieren wird, wenn die Menschheit alles so laufen lässt wie bisher und sich dabei wenig Gedanken über die Folgen ihres Handelns macht. Mit neuen Möglichkeiten elektronischer Berechnungstechniken wurde ein Simulationsprogramm entwickelt, das das Weltsystem in den wesentlichen Betrachtungsparametern abbilden sollte. Mit errechneten Grafiken wurden Hochrechnungen veranschaulicht, die für künftige Jahrzehnte Prognosen über die Grenzen der Belastbarkeit unserer Lebenswelt abgaben. Zum zweiten sollte die Studie die Auswirkungen unterschiedlicher Handlungsoptionen verdeutlichen und so die Möglichkeiten eröffnen, nicht in fatale Entwicklungen zu geraten. Die rechnergestützte Verarbeitung empirischer Daten sollte schonungslos, ohne subjektive und fehlbare Einschätzungen, die Folgen unseres  Lebensstils verdeutlichen.

Die Veröffentlichung der Studie war der Startschuss für eine Jahre andauernde Diskussion darüber, dass und ob die Menschheit über ihre Verhältnisse lebt. Widerspruch kam und kommt auch heute noch insbesondere von Vertretern der klassischen Ökonomie, die davor warnen, dass willkürliche Eingriffe in Prozesse der Wirtschaft zu Verzerrungen im marktwirtschaftlichen Geschehen führen, ohne dass ökologische Ziele dadurch wirklich erreichbar würden. Tatsächlich gibt es viele politische Bekenntnisse zu mehr Umweltschutz und es gibt auch viele technische Neuerungen, die insbesondere spezifische Verbrauchswerte an fossiler Brennenergie reduzieren. Am Gesamtergebnis gemessen, hat es aber in den vergangenen Jahrzehnten keine hinreichenden und gravierenden Werte gegeben, die zu geringerer Belastung führen. Über die gesamte Menschheit hinweg gerechnet, sind sie gestiegen. Das Dilemma besteht darin, dass es mit dem Streben nach Wohlstand nur schwer vereinbar ist, an den angedienten Komfortansprüchen und den gewohnten Bequemlichkeiten kollektiv Abstriche zu machen. Dahingehende Anstrengungen sind offenbar Bestandteil einer Politik für solche, die bereits im Wohlstand leben, nicht aber für die breite Masse. Bei Wohlhabenden sind die Aktionspläne zu finden, mit denen ausgesuchte Phänomene angegangen werden, aber ohne wirkliche Gesamtsicht.

Das Wettrüsten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom militärischen auch auf den kommerziellen und gesundheitstechnischen Bereich ausgedehnt. Als Konsumenten und Betroffene können wir ein Lied davon singen. Jeder wird gedrängt Neues zu kaufen, Altes wegzuwerfen. Von Appellen dazu sind wir ständig umgeben, und Regierungen lassen sich vor diese Karre spannen, ohne selbst zu denken. Und so stehen wir heute noch vor der Warnung an die Politik, dass der Mensch über seine Verhältnisse lebt, so aktuell wie vor fünfzig Jahren.